Dieser Aritkel ist zuerste in der Rheinschiene erschienen.
Der Verkehrsversuch auf der Deutzer Freiheit ist gescheitert? Von wegen. Er war ein Erfolg, sagt die Bürgerinitiative Deutzer (Auto-)Freiheit.
Seit dem letzten Winter sprechen die Gegner:innen einer autofreien Deutzer Freiheit vom Scheitern des Verkehrsversuchs, ohne stichhaltige Kriterien oder Kennzahlen für diese Einschätzung vorzulegen. Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 2. August 2023, das den Verkehrsversuch aus rein formalen Gründen als „voraussichtlich rechtswidrig“ einstufte, wurden diese Stimmen noch lauter. Leider hat auch die Kölner Presse das Diktum des Scheiterns schnell aufgegriffen und unkritisch übernommen.
Wir als Bürgerinitiative und Deutzer Bürger:innen sind jedoch der Meinung: Der Verkehrsversuch, der uns für knapp 15 Monate eine (teilweise) autofreie Straße im Herzen von Deutz beschert hat, war ein Erfolg.
Warum?
Der neu gestaltete öffentliche Raum wurde von vielen als Bereicherung erlebt. Wir Menschen sind grundsätzlich nicht besonders gut darin, uns Veränderungen vorzustellen. Deshalb ist es so wichtig, alternative Möglichkeiten „durchzuspielen“. Es ist das Verdienst des Verkehrsversuchs, dass er – insbesondere in den Sommermonaten – die Idee einer autofreien Straße erlebbar gemacht hat. Dass diese Erfahrung für sehr viele Menschen eine positive war, zeigte die rege Frequentierung durch Jung und Alt, Deutzer:innen wie Besucher:innen. Ob für die Mittagspause, bei zufälligen Begegnungen oder gezielten Verabredungen – die Straße und insbesondere die Sitzgelegenheiten wurden gerne genutzt und führten zu einer deutlichen Belebung der Deutzer Freiheit bzw. des autofreien Straßenabschnitts. Eine Befragung durch die Hochschule Bochum im September 2022 belegt dies auch mit Zahlen: Eine deutliche Mehrheit von rund zwei Dritteln der Befragten bewertete die „Stadtterrassen“ (Möblierung im Sommer 2022 und Frühjahr 2023) positiv und empfand eine deutliche Verbesserung der Aufenthaltsqualität insgesamt.
Foto: Christopher Horne
Auch die über 170 Statements von Unterstützer:innen, die wir im Sommer 2023 gesammelt und auf unserer Website veröffentlicht haben, zeugen von einer Verbesserung der Aufenthaltsqualität („mediterranes Flair“, „ein richtig schöner Ort zum Flanieren“, „lebenswerter“), einem verstärkten Gefühl von Nachbarschaft („eine Art Veedelstreff“), mehr Ruhe und einem erhöhten Sicherheitsgefühl. Viele berichten, dass sie sich – anders als zuvor – auf der Deutzer Freiheit verabredeten. Dies gilt auch für Kölner:innen aus anderen Stadtteilen, welche die autofreie Straße gezielt ansteuerten. Damit haben wir als Bürgerinitiative unsere formulierten Ziele zumindest temporär erreicht: Mehr Raum und Aufenthaltsqualität, eine lebendige Straße mit Platz für Begegnungen und ein Schritt für Köln in Richtung einer nachhaltigeren Stadt (vgl. www.deutzautofrei.de).
Der Verkehrsversuch wurde durch bürgerschaftliches Engagement initiiert und mitgetragen. Für uns, die wir den Verkehrsversuch in Form einer Bürgereingabe vorgeschlagen haben, ist es ein echter Erfolg, ihn auch umgesetzt zu sehen. Während des Versuchszeitraums kamen weitere Engagierte hinzu, die wesentlich zum Gelingen beigetragen haben – durch die Mitwirkung bei mehreren Pflanzaktionen, die Übernahme von Pflanzenpatenschaften, das Abholen und die Pflege der Wanderbäume, die Teilnahme an der Müllsammelaktion, beim dringend notwendigen Gießen der Pflanzenmodule der Straßenmöbel in den Sommermonaten, die Unterstützung von Veranstaltungen wie Open-Air-Kino, Urban Minigolf, Vorträge oder Ausstellungen sowie durchs Mitdiskutieren und Ideensammeln bei den regelmäßigen Treffen der Bürgerinitiative. Deutlich wurde, dass ohne das kontinuierliche Engagement die Umsetzung so nicht möglich gewesen wäre.
Gemeinsame Bepflanzung der neuen Straßenmöbel von „Stadtkontraste“ im Mai 2023. Foto: Christopher Horne.
Der Verkehrsversuch hat eine breite Diskussion über den öffentlichen Raum ausgelöst. Unabhängig davon, wie man die Ergebnisse bewertet: Der Verkehrsversuch hat dazu geführt, dass sich viele Menschen mit ihren Vorstellungen von der Nutzung der Straße und dem Zusammenleben im Veedel auseinandergesetzt haben – und natürlich auch mit den Vorstellungen derer, mit denen sie nicht übereinstimmen. Dieser Austausch über die gemeinsamen Angelegenheiten ist der Kern jeder Demokratie und als demokratischer Prozess unbedingt zu begrüßen. Dass dabei unterschiedliche Positionen aufeinanderprallen und nicht immer ein Kompromiss gefunden werden kann, mit dem alle zufrieden sind, liegt in der Natur der Sache. Dies ist noch kein Grund, von einer „Spaltung des Veedels“ zu sprechen und das Bild unversöhnlicher und aggressiver Lager heraufzubeschwören, wie es leider immer wieder geschehen ist. Unserer Wahrnehmung im Alltag entspricht dies jedenfalls nicht.
Erfahrungen für eine dauerhafte Umgestaltung der Straße wurden gesammelt. Wir hätten uns gewünscht, dass die Versuchszeit noch deutlich mehr zum Experimentieren genutzt worden wäre. Nichtsdestotrotz haben die Versuchseinrichtung und einige Nachjustierungen gezeigt, was die Erfolgsfaktoren sind und wo die „Schmerzpunkte“ liegen. Als ausgesprochen wichtig und erfolgreich hat sich das modulare Straßenmobiliar mit der schönen Bepflanzung erwiesen. Denn erst durch diese Sitzgelegenheiten wurde die Straße nicht nur optisch aufgewertet, sondern auch zu einem Begegnungsraum für alle. Als zentraler Kritikpunkt kristallisierte sich der als zu schnell empfundene Radverkehr heraus. Hier wurde mit den aufgestellten Baken gegengesteuert. Weitere mögliche Maßnahmen, wie Aufklärungskampagnen oder die Bemalung der Fahrbahn zur optischen Abgrenzung und „Entschleunigung“ des Radverkehrs, wurden leider nicht oder zu spät angegangen und nicht (mehr) umgesetzt. Eine dauerhafte Lösung mit baulicher Umgestaltung kann und muss diese Punkte aufgreifen bzw. lösen.
Nächster Schritt: dauerhaft autofrei
Natürlich hätte während des Verkehrsversuchs vieles anders laufen können. Verbesserungsvorschläge für die Umsetzung wurden auch in dieser Zeitschrift mehrfach diskutiert (siehe Rheinschiene Nr. 68 und 69). Wir hätten uns zudem eine deutlich bessere Kommunikation der Ziele, der Handlungsspielräume und der Maßnahmen durch die Stadtverwaltung in Richtung Öffentlichkeit und im direkten Austausch mit den Akteursgruppen vor Ort gewünscht. Hier hätte vermutlich viel Unmut frühzeitig aufgefangen oder zumindest abgefedert werden können.
Dass die Deutzer Freiheit aufgrund des Verwaltungsgerichtsurteils nun wieder für den Autoverkehr geöffnet ist, bedauern wir sehr. Da es sich bei dem Gerichtsurteil aber nicht um eine inhaltliche Bewertung oder Ablehnung der autofreien Straße an sich handelt, sondern um die Feststellung eines möglichen Verfahrensfehlers, sind wir zuversichtlich, dass die Deutzer Freiheit in absehbarer Zeit wieder autofrei sein wird – diesmal dauerhaft.
Für die Umwandlung der Straße in eine Fußgängerzone wünschen wir uns eine breite politische Mehrheit aller Parteien, die konstruktiv an der Verkehrswende für Köln arbeiten. Und ein Verfahren, das einen transparenten Dialog mit allen Beteiligten organisiert und ein klares Ziel verfolgt. Dann kann das Experiment autofreie Deutzer Freiheit auch zu einem bleibenden Erfolg und Gewinn für Deutz werden.
Sabine Büttner, Bürgerinitiative Deutzer (Auto-)Freiheit